VORWORT von Prof. Dr. Hans Berner

"Der Sturm wird immer stärker!"

"Das macht nichts. Ich auch!"


Im Kinderbuch Pippi Langstrumpf gibt es eine Stelle, in der die beiden vorsichtig-ängstlichen Freunde von Pippi, Tommi und Annika besorgt zum Himmel blicken um festzustellen, dass der Sturm immer stärker wird. Pippi reagiert mit „Das macht nichts. Ich auch.“ Diese Antwort ist typisch für Pippi: Sie ist voller Selbstsicherheit, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, ihre Selbstwirksamkeit ist ausgeprägt. Der Begriff der Selbstwirksamkeit aus der sozial-kognitiven Lerntheorie von Albert Bandura ist in den letzten Jahren zu einem pädagogischen Grundbegriff geworden, aus dem sich eindeutige Hinweise ableiten lassen, wie Kinder und Jugendliche in ihrem Lernen unterstützt werden können. Bandura fasst zusammen, was Selbstwirksamkeit so bedeutend macht: «Motivation, Gefühle und Handlungen von Menschen resultieren in stärkerem Masse daraus, woran sie glauben oder wovon sie überzeugt sind, und weniger daraus, was objektiv der Fall ist.»

Entscheidend ist also der Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Selbstwirksamkeit ist die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenz bewältigen zu können. Pippi ist felsenfest davon überzeugt, dass ihr der Sturm nichts anhaben kann. Klar ist, dass nicht alle Kinder und Jugendlichen diesen ausgeprägten Glauben an die eigenen Fähigkeiten haben. Zur Stärkung von Selbstwirksamkeit hat der Psychologe Franz Petermann das Verfahren «Das Leben im Rückspiegel» vorgeschlagen. Indem Kinder und Jugendliche auf positiv verlaufene Erfahrungen und Erlebnisse zurückblicken und sich damit auseinandersetzen, können sie Vertrauen entwickeln, vor ihnen liegende Situationen bewältigen zu können.

Das Buch von Anita Rebronja setzt genau an dieser Stelle an: Durch einen Rückblick auf schwierige Situationen, die in der Vergangenheit erfolgreich bewältigt wurden und durch das Ermöglichen von Stolz aufgrund von «Trotzdem-Erfolgen», von Erfolgen, die nicht unbedingt zu erwarten waren. Es gelingt der Autorin mit ihren wunderbar-feinfühligen Gedichten und mit ihren einfühlsamen Reflexionsvorschlägen, dass Kinder und ihre Bezugspersonen positive und negative Erfahrungen und Erlebnisse besser verstehen können. Und so lernen, sich selbst besser erkennen und verstehen zu können.

Sie kennen sicher das Sprichwort „Durch Erfahrung wird man klug“. Das stimmt nicht. Um klug zu werden, genügt das Sammeln von Erfahrungen nicht. Es braucht etwas Entscheidendes, damit Erfahrungen klug und klüger machen können. Es braucht ein Nachdenken darüber, wieso eine Erfahrung negativ in Erinnerung bleibt, und das Verhalten prägt. Auch an dieser Stelle setzt das Buch von Anita Rebronja an: Sie will mit ihren klugen Anregungen erreichen, dass die Kinder und ihre Bezugspersonen nachdenken. Dieses Nachdenken oder Reflektieren kann dazu führen, dass im Nachherein besser verstanden wird, was warum und auf diese Weise wahrgenommen wurde. Und zu verstehen lernen, dass es auch anders wahrgenommen werden kann. Das Sprichwort müsste heissen: Durch reflektierte Erfahrungen kann man klüger werden. Dazu braucht es Zeit und eine Entschleunigung. Die Schriftstellerin Elif Shafak hat vor kurzem in einem Interview gesagt: „Wir plaudern nach, wir wiederholen. Was wir stattdessen brauchen, ist eine Entschleunigung. Zeit, um nachzudenken, zu hinterfragen, zu verarbeiten.“

Ich wünsche Ihnen liebe Leserinnen und Leser und Ihren Kindern unvergessliche Lern- und Reflexionsprozesse. Ich wünsche Ihnen Zeit, um mit Hilfe dieses Buches nachzudenken, zu hinterfragen, zu verarbeiten. Ich bin mir sicher, dass dieses mit persönlichen Bemerkungen ergänzte Buch für Sie zu einem faszinierenden Begleiter durch bisher ganz oder teilweise verborgene Erlebnis- und Erfahrungswelten werden wird. Und eine spannende Lektüre Jahre später.


Prof. Dr. Hans Berner (Im Juni 2021)

Langjähriger Dozent an der Pädagogischen Hochschule Zürich, Bildungsexperte und Autor



E I N L E I T U N G 

Von Reimen und Räumen

Was ich Ihnen wünsche

Die Geburt eines Kindes markiert nicht nur den Beginn eines neuen Lebens, sondern für dessen Eltern auch den Übertritt in eine neue Lebensphase als Mutter oder Vater. Mit der Geburt meines Sohnes wurde auch ich in ein neues Leben geboren. Für mich war das eine unvergleichliche Erfahrung, die meinem Leben eine völlig andere Perspektive verlieh. Kinder sind grosse Lehrer, wenn man es zulässt. Nicht nur, dass sie uns Neues zeigen und uns an längst Vergangenes erinnern; sie können auch das spiegeln, was unterbewusst in uns schlummert. Sich mit diesem Unterbewussten auseinanderzusetzen, ist sowohl eine Herausforderung als auch ein Geschenk: Vergessene Muster und Mechanismen kommen so ans Licht und können aufgelöst werden – für uns selbst, aber auch für unsere Kinder, sodass sie unsere schlechten Angewohnheiten nicht mit auf den Weg bekommen.

Was ich mir wünsche

Unsere Aufgabe als Eltern ist es, für die Entwicklung unserer Kinder auf mentaler und emotionaler Ebene die bestmögliche Ausgangslage zu schaffen: Gefühle, Sprache, Glaubenssätze, der Umgang mit Emotionen und herausfordernden Alltagssituationen – all das prägt unsere Kinder. Wenn es uns gelingt, dass sich unsere Kinder sicher und geliebt, gesehen und gehört fühlen, dann können sie zu grossartigen, empathischen und vor allem selbstbewussten Erwachsenen heranreifen.

Mein Wunsch ist, dass Kinder bewusst und achtsam (auf)wachsen können, sodass sie ein unvergleichlich starkes Urvertrauen in ihr Selbst entwickeln – stets im Wissen, dass sie dabei von ihren Eltern begleitet werden. Dass sie einzigartig sind und es keinen anderen Menschen gibt, der so ist wie sie. Dass sie Freude an dieser Einzigartigkeit haben dürfen und sich nur mit sich selbst vergleichen sollten. Dass es recht ist, die Einzigartigkeit anderer zu respektieren und für sie Empathie zu empfinden.

Was das Ziel dieses Buches ist – und wie es erreicht werden soll

Das Ziel dieses Buches ist es, einen Raum zu schaffen. Einen Raum der Entfaltung und der Reflexion, in dem Fehler passieren dürfen (und dem Lerneffekt zuliebe auch ruhig sollen). Um Ihr Kind bei der Schaffung dieses Raumes zu unterstützen und anzuleiten, sind Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen eingeflossen – unter anderem Fakten aus der Hirnforschung sowie Wissen zur Entwicklung und zum Einfluss der Biochemie im Körper auf Erlebnisse und Gefühle. Wir können stark Einfluss nehmen auf die Entwicklung, etwa durch ein gutes Umfeld, ausreichend Bewegung, gesundes Essen und eine von Bewusstsein geprägte Sprache. Je früher man damit anfängt, desto stärker sind die entsprechenden synaptischen Verbindungen.

Apropos Sprache: Ein wesentlicher Teil dieses Buches wurde in Reimform geschrieben. Reime wecken nämlich nicht nur Interesse und sind dadurch einprägsamer, sondern erlauben auch einen spielerischen Umgang mit der Sprache. Ergänzend hinzu kommt die Bildsprache, und zwar in Gestalt von exklusiv entworfenen Illustrationen der slowenischen Künstlerin Zorana Živić - Zoki.Art: Diese Bilder – Hand in Hand mit den Reimen – beleuchten und vereinfachen schwierigere Themen und helfen Ihrem Kind, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und zu verinnerlichen.

Es unterstützt, über Themen nachzudenken, unstrukturierte Gedanken in Worte zu fassen und auf Papier zu bringen. Diese Reflexion über die Umwelt und das Selbst ist ein Prozess, der Ihrem Kind ein Leben lang helfen wird, Herausforderungen selbstständig zu meistern. Ist das nicht etwas, was wir uns als Eltern für unsere Kinder wünschen?

Eine Gelegenheit also, zu wachsen – mit und durch unsere Kinder. Und somit ein herzliches Willkommen bei hello2grow.

Herzlichst,

Ihre Anita Rebronja Goulios